18.12.2003 |
Urologen als Anti-Aging-Mediziner?
Vom AndroCHECKTM-Wahlspruch „Fit und potent
bis ins hohe Alter“ ist es nicht mehr weit bis zur Anti-Aging-Medizin.
Hier kann die orthomolekulare Medizin wichtige Impulse geben. Zudem
ruft Dr. Eisenmenger die Urologen/Andrologen auf, die
Gesundheits-Coaches der Männer zu werden.
M.
Eisenmenger |
In zahlreichen Urologen-Praxen hängt das Schild „Hier wird
AndroCHECKTM angeboten“ und der sympathische ältere Herr
lächelt vom Plakat an der WC-Tür, mit dem für die AndroCHECKTM
-Untersuchungen geworben wird. Bieten wir niedergelassenen Fachärzte
für Urologie und Andrologie alle Leistungen, die das AndroCHECKTM
-Programm verspricht, auch an? Neben den Vorsorgeuntersuchungen für
Prostatakarzinom, Blasenentleerungsproblemen und Hormonmangel ist die
Aufklärung und Beratung zu Fragen der Ernährung, Bewegung und Vorsorge
Bestandteil des AndroCHECKTM. „Fit und potent bis ins hohe
Alter“ ist der Wahlspruch der AndroCHECK-ologen. Davon ist es aber
nicht weit bis zur Anti-Aging-Medizin.
Um Missverständnissen vorzubeugen: hier sind nicht jene äußerst
zweifelhaften Praktiken gemeint, die ewige Jugend durch die Einnahme
von Hormonen oder ähnlichen Präparaten versprechen, sondern Beratung
zu richtiger Ernährung, die Anwendung von Nahrungsergänzungsstoffen
unter ärztlicher Aufsicht, das Motivieren zu Bewegung und dem Meiden
von krankmachenden Noxen (hochkalorische Ernährung, Rauchen), um ein
gesundes Altern zu ermöglichen. Einfach definiert ist „anti-aging“-
Medizin jede Intervention, die die Entwicklung altersabhängiger
Pathologien und anderer widriger altersbezogener Veränderungen, die
nicht als Krankheiten definiert sind, verzögert1. Aus
diesem Grund sollte der Begriff „longevity“- (Langlebigkeit) Medizin
verwendet werden.
Anfang September 2003 veranstaltete ein Wiener Labor ein
Anti-Aging-Seminar. Ernährung, Bewegung und Hormonersatztherapie
standen auch am Programm, ich möchte aber aus der Fülle von Vorträgen
von zweien berichten, die für mir Neues brachten und für unsere Arbeit
als niedergelassene Urologen/Andrologen wichtig sein könnten.
Orthomolekulare Medizin
Dr. Norbert Adelwöhrer vom Institut für Ernährung und
Stoffwechselerkrankungen und Dr. M. Lindschinger aus Weiz sprachen
über Orthomolekulare Medizin (OM). OM ist die Erhaltung guter
Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten durch Veränderung der
Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise
vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind (Linus Pauling
1968). Die OM beschäftigt sich mit der Behebung des Ungleichgewichts
freier Radikale und der für die biochemischen Abläufe im Körper
benötigten Katalysatoren (Enzyme, Spurenelemente, Vitamine). Da OM auf
Biochemie und Physiologie basiert, ist sie Bestandteil der
Schulmedizin, die auch mit der Supplementation von fehlenden
Substanzen und Mikronährstoffen arbeitet.
Fehlernährung (inadäquate Mengen und Zusammensetzung), Stress,
Umweltbelastung, Nikotin, genetische Disposition etc. bringen den
Körper in eine Alarmphase mit unklaren Beschwerden, die klinisch nicht
messbar, aber orthomolekularisch erfassbar sind. Der Körper reagiert
mit erhöhtem Widerstand: Blutdruck- und Herzfrequenzerhöhung, innere
Anspannung, Verringerung der Tiefschlafphasen, reaktive Depression.
Die Folgen sind eine klinische Messbarkeit der Beschwerden, die als
Risikofaktoren definiert werden. Laborchemisch ist eine starke
Erhöhung der freien Radikale nachweisbar. Dies ist die letzte Phase
der primären Präventionsmöglichkeit. Verstreicht diese ungenützt,
kommt es zur Phase der Erschöpfung mit Ausbildung klinisch manifester
Zivilisationskrankheiten (Dyslipidämien, Diabetes mellitus,
Hypertonie, Adipositas, ...). Auch die Entwicklung von Karzinomen
steht in Zusammenhang mit einem Ungleichgewicht der freien Radikale.
Zu den Haupt-Antioxidantien zählen die Vitamine A, C und E, Coenzym
Q10, b-Carotin, Glutathion, Cystein sowie die Spurenelemente Selen,
Eisen, Zink, Mangan und Kupfer. Der Mikronährstoffbedarf bleibt im
Erwachsenenalter annähernd gleich, ist in Phasen von (oxidativem)
Stress erhöht und ist sowohl von exogenen Einflüssen wie Medikamenten,
Nahrung, Lebensgewohnheiten, Jahres- und Tageszeit, und der
geografischen Lage als auch von endogenen Faktoren wie Alter,
Geschlecht, Hormonstatus und Körpergewicht abhängig.
Neben Ernährungsprotokollen (Hinweis auf Fehler in der Energiezufuhr,
Missverhältnis bei Spurenelementen und Vitaminen) sind Peroxidstatus (POX),
totaler antioxidativer Status (TAS) und Spiegel der Antikörper gegen
oxidierte Lipoproteine (oLab) Standard in der OM-Diagnostik. Die
OM-Therapie ist eine individuelle, fein abgestimmte Therapieform, die
mindestens drei bis sechs Monate durchgeführt und durch klare
laborchemische Parameter überwacht werden muss. Prävention bedeutet in
der orthomolekularen Medizin: Reduktion der Aufnahme oxidativer
Nahrungsmittel, Reduktion des Volumens der aufgenommenen Mahlzeiten
(„Besser wenig und öfters, als viel und selten!“) sowie Sicherstellung
der Nährstoffdichte, die vor allem bei älteren Menschen hoch sein
soll.
„Vom Arzt zum Health-Coach“
Unter dem Titel „Vom Arzt zum Health-Coach“ brachte uns Frau Barbara
Lemke (health success coaching academy) neue Betätigungsfelder im
ärztlichen Bereich näher. New Health, New Wellness, Anti-Aging- und
Lifestyle-Management sind die Mega-Trends am Gesundheitsmarkt – und
der Anteil der über 50-Jährigen nimmt in der Bevölkerung stetig zu.
Die Senior-Konsumenten werden aktiv und leistungsorientierter sein und
ihr Geld eher für Gesundheit, Mobilität und Bildung ausgeben als es zu
vererben. Erfolgreiches Altern steht im Schnittpunkt von
Krankheitsprävention, Erhaltung körperlicher und geistiger Fitness
sowie der aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Was ist Health Coaching? Coaching stammt ursprünglich aus dem Sport
und ist ein ziel- und lösungsorientierter interaktiver Beratungs- und
Betreuungsprozess. Die Lösungen werden vom Kunden (Patienten) und
nicht von Coach erarbeitet, der in der Gesprächssituation nicht mehr
arbeiten soll als sein Kunde. Coaching zielt immer auf eine Förderung
der Selbstreflexion und -wahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortung,
um Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Der Coaching-Prozess läuft von der
Ziel- und Auftragsklärung, über die Explorationsphase, der
Ressourcenorientierung und Erweiterung von Sichtweisen, über
Produktion von Lösungen bis hin zur Schlussintervention. Das
Handwerkszeug des (Health) Coachs sind aktives Zuhören, offene
kompetenzorientierte Fragen, echtes Lob, Skalierungen („Wie schätzen
Sie Ihre Motivation zur Gewichtsreduktion auf einer Skala von 0 bis 10
ein?“) und lösungsorientierte Experimente.
Aktives Zuhören gefragt
Apropos „aktives Zuhören“: nach durchschnittlich 18 (!) Sekunden
unterbrechen Ärzte ihre Patienten, die ohne Unterbrechung ihr Anliegen
in durchschnittlich zwei Minuten dargelegt hätten. 85% der Arztwechsel
begründen sich im ungenügenden Kommunikationsverhalten der Ärzte. „You
have to go to fetch the future. It is not coming, it is running away!”
(Afrikanisches Sprichwort). Nehmen wir die Zukunft für uns ein: werden
wir Urologen/Andrologen die Gesundheits-Coaches der Männer.
Autor: Dr. Michael Eisenmenger
Präsident bvU
1 Is There an Antiaging Medicine? Robert N. Butler et al.; J Gerontol,
2002, 57 (3): B 833-838
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